Vom Grenzturm zum Naturschutzturm

20 Jahre Biologie und Geschichte zum Anfassen

Vor ziemlich genau zwanzig Jahren haben sich zwei Jugendgruppen, die sich in ihrer Freizeit für den Naturschutz einsetzen, gesucht und gefunden. Die Ökokekis wirkten in Hohen Neuendorf, jenseits der Grenze in der damaligen DDR. Die Brummbären-Horte der Deutschen Waldjugend hatte im Frohnauer Forst im Norden von West-Berlin ihr Domizil. Wenige Monate nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze gründete sich auf Initiative von Helga Garduhn und Marian Przybilla der Verein Deutsche Waldjugend – Naturschutzturm Berliner Nordrand e.V. Im Mittelpunkt stand und steht eine ehemalige Führungsstelle der DDR-Grenztruppen. In den ersten Jahren stand die Wiederaufforstung des Grenzstreifens an erster Stelle. Im Laufe der Jahre wurden mehr als 80.000 Bäume gepflanzt.

Heute bietet der Naturschutzturm eine Vielzahl von Aktivitäten für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene. Die auf der Freifläche um den Turm angelegten Biotope sind beispielhaft für die märkische Landschaft und sie bieten eine Vielfalt von Möglichkeiten, Biologie und Natur zum Anfassen zu erleben. Viele Schulen der Umgebung nutzen das „Klassenzimmer im Grünen“ für biologische oder geschichtliche Projekttage. Regelmäßig werden kleine Wanderungen und Führungen in das Landschaftsschutzgebiet Westbarnim, zum Harthamoor, in die Heide oder zum Hubertussee angeboten. Das Areal ist Treffpunkt der Deutschen Waldjugend sowie einer Gruppe junger Imker. In Absprache mit der Forstverwaltung aus Berlin und Brandenburg betreuen die Waldläufer auch die nähere Umgebung um das Gelände. Im Wald werden einfache Pflegearbeiten durchgeführt, Schutzabsperrungen gebaut oder repariert. – Frisch vermählte Paare können einen Hochzeitsbaum pflanzen.

Im November letzten Jahres wurde der in den 1980er Jahren errichtete Grenzturm mit Bunker in die Denkmalliste des Landes Brandenburg aufgenommen. Er ist einer der vier an ihrem Originalstandort verbliebenen DDR-Grenztürme, von denen einst 302 West-Berlin umgaben. Drei Gedenkstelen im Rahmen des Berliner Mauerweges informieren über die Geschichte der einstigen Führungsstelle Bergfelde.

Erinnerung an die deutsche Teilung

Im früheren Grenzstreifen sind die Zeugnisse der deutschen Teilung auch heute noch allgegenwärtig. Oft versuchen die Waldläufer sich vorzustellen, wie es wohl war, hinter der Mauer zu leben. Wären sie auch auf die Idee gekommen zu flüchten? Im Rahmen des Jugendprojektes Zeitensprünge erforschten sie im Jahr 2006 die näheren Umstände der Flucht von Marienetta Jirkowsky und ihren beiden Freunden Peter Wiesner und Falko Vogt. Für die damals 18-Jährige endete der Fluchtversuch am 22. November 1980 in der Hohen Neuendorfer Florastraße tödlich. In Zeitungsarchiven und in den Akten zum Mauerschützenprozess wurden die Jugendlichen fündig. Sie sprachen auch mit Zeitzeugen und mit Falko Vogt.

Ende 2006 wurde in der Nähe des damaligen Fluchtortes, nur wenige hundert Meter vom ehemaligen Grenzturm Bergfelde entfernt, eine zusätzliche Gedenkstele für Marienetta Jirkowsky errichtet. Die Umsetzung erfolgte auf Initiative der Waldjugend im Rahmen des Berliner Mauerwegs. An das Schicksal der jungen Frau erinnert heute außerdem eine Erle, die zu ihrem 25. Todestag am 22. November 2005 am Naturschutzturm gepflanzt wurde.

Im Grenzabschnitt um den früheren Grenzturm sind in den Jahren 1964 bis 1971 drei weitere junge Menschen bei Fluchtversuchen getötet worden. Sie waren alle 19 Jahre alt: Joachim Mehr wurde erschossen, Willi Born tötete sich bei Entdeckung seiner Flucht selbst, Rolf-Dieter Kabelitz wurde durch Schüsse schwer verletzt und starb drei Wochen später im Krankenhaus. Insgesamt kamen nach Recherchen der Gedenkstätte Berliner Mauer und des Zentrums für zeithistorische Forschung Potsdam an der Berliner Mauer mindestens 136 Menschen zu Tode.

Zum Tag des Mauerbaus am 13. August 2009 wurde am Naturschutzturm eine Gedenknische für alle vier jungen Mauertoten eingerichtet, die damals ihr Grundrecht auf Freizügigkeit für sich in Anspruch nehmen wollten. Hier befinden sich originale Mauerstücke und Zaunteile, ein sogenannter „Stalinrasen“ (eine Stahlnagelmatte) sowie andere Relikte aus dem dunklen Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte. Kurzbiografien informieren über die Schicksale der jungen Maueropfer.

Für die drei jungen Männer wurden zusätzlich an den Orten der Entdeckung ihrer Flucht Pfähle der Grenzzäune senkrecht aufgestellt. An jedem Pfahl ist eine Infotafel über das Leben und den vergeblichen Fluchtversuch sowie eine DDR-Grenzgebietskarte mit der Lage der Fluchtversuche angebracht. Jeweils vor Ort soll dem Betrachter die Möglichkeit gegeben werden, sich mit diesem schwierigen Spannungsfeld der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen, um es für sich zu bewerten.

Ort des Lebens

Michael Beleites, Mitbegründer der DDR-Umweltbewegung und Sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, umschreibt die Idee des Naturschutzturms in seiner Laudatio zur Verleihung des Berliner Naturschutzpreis 2010 an die beiden Initiatoren Helga Garduhn und Marian Przybilla so:

„Was kann es Besseres und Schöneres geben, als so einen Ort des Todes zu verwandeln in einen Ort des Lebens? Dort, wo um einer Ideologie willen junge Menschen eingesperrt und sogar erschossen wurden, lernen heute junge Menschen das Leben zu lieben. Dort, wo Beton und Stacheldraht die Landschaft zerschnitt, haben Sie einen Ort geschaffen, an dem Menschen der Natur in Achtung und Respekt begegnen. […] Mir ist kein Gedenkort an Opfer politischer Gewaltherrschaft bekannt, wo in so radikaler Weise die Gewalt und Gewaltbereitschaft schon an ihren Wurzeln ‚behandelt‘ wird. Wem die ‚Ehrfurcht vor dem Leben‘ zu einer Herzensangelegenheit geworden ist, der wird sich weder für Gewalt gegen Menschen noch für Gewalt gegen die Natur einspannen lassen.“

Genau hier wollte die Deutsche Waldjugend etwas Positives für Mensch und Natur schaffen. Es war kein leichtes Unterfangen, den ehemaligen Grenzturm für die Naturschutzarbeit zu sichern. Doch im Übergabeprotokoll vom 25. Juni 1990 beurkundete Major Kuntze von den Grenztruppen der DDR die kostenlose Übergabe von „1 Stck. Führungsstelle […] Garantieleistungen, Ersatzteillieferungen und Instandsetzungen werden durch den Übergebenden nicht gewährt.“

Mit der deutschen Einheit mussten dann leider noch viele abenteuerliche Rechtswege zur dauerhaften Sicherung unternommen werden. Am 26. Juni 2010 feiert die Deutsche Waldjugend 20 Jahre Naturschutzturm. Hier wächst auch weiter zusammen, was zusammen gehört. – Weitere Informationen zum Projekt finden sich im Internet unter http://naturschutzturm.de.

Hinweis: Die Printversion in der Info II/2010 wurde gekürzt.

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